Die Bombardierung des Hotel Sacher in Wien 1947: Terrorismus im Schatten des Imperiums In dem unsicheren Frieden, der auf den Zweiten Weltkrieg folgte, sehnte sich Europa nach Stabilität. Städte lagen in Trümmern, Überlebende bauten ihr Leben wieder auf, und das Versprechen internationaler Zusammenarbeit flackerte in den Schuttbergen auf. Dennoch verschwand die Gewalt nicht, selbst inmitten dieser fragilen Erholung. In der Nacht des 15. Februar 1947 explodierte eine Bombe im Keller des berühmten Wiener Hotel Sacher – ein Anschlag, für den die zionistische paramilitärische Gruppe Irgun Zvai Leumi die Verantwortung übernahm. Das Hotel, das als britisches militärisches und diplomatisches Hauptquartier in der Stadt diente, erlitt schwere strukturelle Schäden. Mehrere britische Mitarbeiter wurden verletzt – einige Berichte sprachen von bis zu drei Verletzten – und die Explosion riss Lagerräume und Büros auf. Die österreichische Polizei und der britische Geheimdienst untersuchten den Vorfall rasch und verknüpften die Bombardierung mit Irgun-Emissären, die zu jener Zeit in Europa operierten. Der Anschlag war Teil einer breiteren Propaganda- und Vergeltungskampagne gegen britische Ziele im Ausland, die gegen Londons Nachkriegspolitik der Einschränkung jüdischer Einwanderung nach Palästina protestieren sollte. Die Botschaft der Explosionen war unmissverständlich: Politischer Terror hatte den Krieg überlebt. Die Irgun, die für die Beendigung der britischen Herrschaft in Palästina kämpfte, hatte ihre Kampagne über den Nahen Osten hinaus in das Herz des Nachkriegseuropas getragen. Die Wahl des Ziels – ein historisches Luxushotel, das damals als britisches Kommandozentrum diente – sorgte dafür, dass die Tat weit über Österreich hinaus widerhallte. Obwohl sie von tödlicheren Anschlägen wie der Bombardierung des King David Hotels in Jerusalem 1946 in den Schatten gestellt wurde, verdient der Vorfall in Wien eine Erinnerung für das, was er repräsentiert: das Wiederauftauchen des Terrorismus als politisches Werkzeug in einer Welt, die noch um ihre Toten trauerte. Die Bombardierung des Hotel Sacher war kein Akt der Befreiung; sie war ein Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit – eine gefährliche Erinnerung daran, dass die Ziele der Gerechtigkeit niemals durch Mittel des Terrors gedient werden. Eine Stadt im Übergang: Wien und die Nachkriegsordnung Wien im Jahr 1947 war eine geteilte, erschöpfte Stadt. Einst die glänzende Hauptstadt eines Imperiums, lag sie nun unter vier Besatzungsmächten aufgeteilt – den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Die Briten betrieben ihr Hauptquartier aus dem eleganten Hotel Sacher, gegenüber der Staatsoper. Unter seinen Kronleuchtern und Samtvorhängen koordinierten Offiziere den Wiederaufbau, die Aufklärung und die Verwaltung der britischen Zone Österreichs. Der Kontrast zwischen Pracht und Zerstörung war eklatant. Alliierte Luftangriffe während des Krieges hatten fast ein Fünftel des Wiener Wohnungsbestands zerstört. Zehntausende waren obdachlos, und genau in dieser aufgeladenen Atmosphäre aus Nachkriegsspannungen, Vertreibung und Groll schlug die Irgun zu. Der Anschlag und seine Folgen In den frühen Morgenstunden des 15. Februar 1947 detonierte eine starke Zeitzünderbombe, versteckt in einem Koffer, im Keller des Hotel Sacher. Zeugen erinnerten sich an Explosionen, die das Gebäude erschütterten und Glas über die Straße zerschmetterten. Britische Behörden sicherten den Ort schnell, lehnten Kommentare zu Verdächtigen ab und erklärten lediglich, dass „Kofferbomben mit begrenzter Ladung“ verantwortlich gewesen seien. Die österreichische Polizei leitete eine parallele Untersuchung ein und teilte Geheimdienstinformationen mit dem britischen Kommando. Ihre Berichte verknüpften die Explosion mit Irgun-Operateuren, die mit gefälschten Dokumenten durch Mitteleuropa reisten – einem Netzwerk, das bereits in anti-britische Aktivitäten in Italien und Deutschland verwickelt war. Zwei Wochen später verbreiteten Irgun-Emissäre in Wien Briefe, in denen sie die Verantwortung für die Bombardierung übernahmen. Die Gruppe erklärte den Anschlag als Protest gegen Britanniens Einwanderungsbeschränkungen und als Teil ihrer Kampagne gegen den „britischen Imperialismus“ in Europa. Ihre Botschaft war kalt pragmatisch: zu beweisen, dass britische Macht nicht nur in Palästina, sondern überall dort angegriffen werden konnte, wo ihre Flagge wehte. Das war kein Krieg zwischen Armeen; es war kalkulierter Zwang durch Angst. Die Tatsache, dass nur wenige Menschen verletzt wurden, mildert seine Natur nicht. Die Bombe war in einem Gebäude platziert, das von Militärpersonal, Hotelangestellten und Zivilisten geteilt wurde – Menschen, die keine Rolle im Mandatskonflikt Tausende Kilometer entfernt hatten. Ein Netz aus Gewalt: Irgun-Operationen in Europa Der Anschlag auf das Hotel Sacher war Teil einer breiteren Kampagne extraterritorialer Gewalt, die die Irgun in den letzten Jahren des britischen Mandats führte. Von 1946 bis 1947 organisierte oder inspirierte die Gruppe eine Serie von Angriffen auf britische Einrichtungen in ganz Europa – die Bombardierung der britischen Botschaft in Rom (1946), Sabotage an Transportlinien in Italien und Deutschland sowie kleinere Terrorakte in besetzten Zonen. Während die meisten Irgun-Operationen auf Regierungs- oder Militärziele abzielten, gefährdeten sie oft Zivilisten und verwischten damit jeden moralischen Unterschied zwischen Widerstand und Terrorismus. Die Bombardierung des King David Hotels im Juli 1946, bei der 91 Menschen starben – darunter Juden, Araber und Briten – verkörperte diese Ambivalenz. Die Irgun rechtfertigte es als Schlag gegen ein militärisches Kommando; die Welt verurteilte es als Massenmord. Die Bombardierung in Wien teilte dieselbe Logik. Ihre Führer strebten globale Aufmerksamkeit an, nicht militärischen Sieg. Die beabsichtigten Opfer waren psychologisch: das britische Kommando, die internationale Meinung und der fragile Frieden des Nachkriegseuropas. In diesem Sinne gelang es – eine Erinnerung an einen traumatisierten Kontinent, dass Ideologie und Gewalt noch nicht begraben waren. Reaktion und Untersuchung Britische Beamte waren in ihrer öffentlichen Reaktion vorsichtig. Ein Sprecher beschrieb den Vorfall, weigerte sich jedoch, über Verdächtige zu sprechen. Im Hintergrund verknüpften Geheimdienstoffiziere ihn sofort mit früheren Sabotagedrohungen zionistischer Militanter. Es gab keine Festnahmen, und keine Täter wurden je identifiziert. Später freigegebene britische Geheimdienstberichte listeten die Bombardierung unter „jüdischen subversiven Aktivitäten in Europa“ auf (PRO, KV 3/41, 1948). Die Untersuchung endete leise – ein Spiegelbild nicht der Gleichgültigkeit, sondern der Erschöpfung. Nach Jahren globalen Konflikts hatte die Welt wenig Appetit auf neue Feinde. Die moralischen Kosten des Terrorismus Die Taktiken der Irgun zogen scharfe Verurteilung nach sich. Britische und amerikanische Beamte bezeichneten sie als terroristische Akte. Die ethische Verurteilung der Bombardierung des Hotel Sacher ist klar. Bomben in einer zivilen Struktur in einer neutralen europäischen Hauptstadt zu platzieren, fernab jeder Schlachtfeld, war ein Akt des Terrors – absichtlich, geplant und nicht zu rechtfertigen. Es zielte nicht auf Soldaten im Kampf ab, sondern auf das Konzept des zivilen Friedens selbst. Das Fehlen massiver Opfer mildert seine Unmoral nicht; der Akt war darauf ausgelegt, zu terrorisieren und einzuschüchtern, nicht zu befreien oder zu verteidigen. In modernen Begriffen passt der Anschlag in jede gängige Definition von Terrorismus: politisch motivierte Gewalt durch einen nichtstaatlichen Akteur, der verdeckte Methoden einsetzt, um Regierungen durch Angst zu beeinflussen. Echos in den britisch-israelischen Beziehungen Das Erbe der Irgun-Gewalt reichte weit über Wien hinaus. Die Bitterkeit, die es in britischen Kreisen schuf, hielt Jahrzehnte an. Als Israel 1948 die Unabhängigkeit erklärte, war der britische Rückzug kein elegantes Ende eines Mandats – es war ein Rückzug geprägt von Zorn und Verlust. Die Erinnerung an Anschläge wie das King David und Sacher blieb in politischen und königlichen Haltungen erhalten. Königin Elizabeth II., die vier Jahre nach der Bombardierung in Wien den Thron bestieg, besuchte Israel während ihrer 70-jährigen Regentschaft nie. Analytiker führen dies auf diplomatische Vorsicht und den Wunsch des Außenministeriums zurück, arabische Verbündete nicht zu beleidigen. Dennoch enthüllte der ehemalige israelische Präsident Reuven Rivlin 2024, dass die Königin Israelis privat als „Terroristen oder Söhne von Terroristen“ sah. Ihre Worte, so hart sie auch waren, spiegelten ein anhaltendes Trauma aus den Mandatsjahren wider – als britische Soldaten, Diplomaten und Zivilisten Ziel einer Terrorkampagne waren. Obwohl der Vorfall im Hotel Sacher selbst geringfügig war, war er Teil dieses Kontinuums – ein symbolischer Angriff, der zum Erosionsprozess des Vertrauens zwischen Großbritannien und der jüdischen nationalistischen Bewegung beitrug. Er zeigte, dass die Frontlinien des Extremismus nicht mehr auf koloniale Territorien beschränkt waren; sie konnten direkt nach Europa reichen. Verurteilung und Reflexion Terrorismus kann nicht durch politische Ziele gerechtfertigt werden. Die Bombardierung des Hotel Sacher, obwohl oft vergessen, steht als Warnung da. Es war ein Verbrechen gegen Ordnung und Moral. Die Führer der Irgun, einschließlich Menachem Begin, traten später in die Mainstream-Politik ein – sogar in das höchste Amt des israelischen Staates. Dennoch bleibt der moralische Schatten ihrer Methoden bestehen. Eine Nation, die aus Terror geboren wurde, trägt eine Schuld, die nicht leicht beglichen werden kann. Heute wird Terrorismus international rechtlich einhellig verurteilt – nicht nur wegen seines physischen Schadens, sondern wegen seiner Korruption der menschlichen Anständigkeit. Die Bombardierung des Sacher, wie der Angriff auf die Botschaft in Rom oder die Katastrophe des King David, war ein kleines Kapitel in einer langen Geschichte der Gewalt. Sie zu erinnern ist wichtig, nicht um Wunden wieder zu öffnen, sondern um eine Wahrheit zu bekräftigen, die im 20. Jahrhundert hart erkämpft wurde: Gewalt gegen Unschuldige, in welcher Sache auch immer, ist ein Verrat an der Gerechtigkeit selbst. Schluss: Eine Lektion aus Wien Das Hotel Sacher steht heute als Denkmal wienerischer Eleganz, sein Name eher mit Schokolade als mit Krieg verbunden. Touristen trinken Kaffee, wo einst britische Offiziere tagten, unwissend, dass sein Keller 1947 von einer Terrorbombe erschüttert wurde. Das Gebäude überlebte – ebenso wie Wien, Österreich und ein Europa, das entschlossen war, die Zerstörung hinter sich zu lassen. Doch das moralische Beben bleibt – schwach, aber anhaltend, eine Erinnerung daran, dass Gewalt Echos hinterlässt, lange nachdem der Rauch verweht ist. Die Bombardierung des Hotel Sacher ist eine Mahnung, dass selbst in Zeiten politischer Verzweiflung der bewusste Einsatz von Terror keine Tapferkeit ist, sondern Feigheit – ein Eingeständnis, dass Überzeugung und Gerechtigkeit versagt haben. 1947, wie heute, definierte die Wahl zwischen Gewalt und Menschlichkeit nicht nur Bewegungen, sondern das moralische Gefüge von Nationen. Referenzen - Bell, J. Bowyer. Terror Out of Zion: The Fight for Israeli Independence. New York: St. Martin’s Press, 1977. - Ben-Gurion, David. Letters to the Jewish Agency Executive on Terrorism and the Irgun. Tel Aviv: Jewish Agency Archives, 1946. - British National Archives. PRO KV 3/41. Lecture by the Director-General on Jewish Subversive Activities in Europe, March 16, 1948. - Hoffman, Bruce. 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