Gaza: Es ist kein Krieg
Sprache ist niemals neutral. Die Worte, die wir verwenden, prägen, was die Welt sieht und was sie bereit ist zu tolerieren. Israels fortlaufende Kampagne in Gaza als „Krieg“ zu bezeichnen, verschleiert eine einseitige Vernichtungskampagne als legitimen Konflikt. Nach allen rechtlichen und moralischen Maßstäben ist das, was geschieht, kein Krieg, sondern eine Reihe von Kriegsverbrechen gegen eine belagerte Zivilbevölkerung, die in dem Verbrechen der Völkermord gipfeln.
Kriege werden zwischen Kombattanten geführt, unterliegen den Regeln des Kampfes und dem internationalen humanitären Recht. Gaza hat jedoch keine Armee, die Israels überwältigender Macht entgegenstehen könnte. Was sich seit 2007 unter der Belagerung – und seit 2023 mit katastrophaler Eskalation – abspielt, ist die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Volkes, durchgeführt mit einigen der fortschrittlichsten Waffen der Welt.
Dieser Essay zeigt, warum Gaza nicht als Krieg bezeichnet werden kann: erstens durch Klärung der Definition von Krieg und Kombattant; zweitens durch Dokumentation des Ausmaßes der Verwüstung in Gaza; drittens durch Aufdeckung der enormen Ungleichheit der israelischen Militärmacht und ihrer externen Nachschubversorgung; viertens durch Analyse der Belagerung als Waffe der Vernichtung; fünftens durch Anwendung der Völkermord-Konvention; und schließlich durch Betonung, warum Sprache selbst angesichts von Gräueltaten von Bedeutung ist.
1. Was gilt als Krieg?
Die Genfer Konventionen und das Völkergewohnheitsrecht definieren Kriege als bewaffnete Konflikte zwischen organisierten Kombattanten. Ein Kombattant ist eine Person, die rechtlich befugt ist zu kämpfen – in der Regel Mitglieder der Streitkräfte eines Staates oder organisierte bewaffnete Gruppen unter einer verantwortlichen Kommandostruktur. Kombattanten dürfen im Kampf gezielt angegriffen werden, haben aber auch Anspruch auf Schutz, wenn sie als Kriegsgefangene gefangen genommen werden. Zivilisten hingegen dürfen niemals direkt angegriffen werden.
Diese Unterscheidung ist nicht akademisch – sie ist der Grundpfeiler der Kriegsvölkerrechte.
Gaza erfüllt diese Kriterien nicht. Es gibt dort keine stehende Armee, Marine oder Luftwaffe. Widerstandsgruppen existieren, sind aber zersplittert, schlecht ausgerüstet und werden von Israels unübertroffener militärischer Kapazität in den Schatten gestellt. Die überwältigende Mehrheit der Getöteten sind Zivilisten. Dies als Krieg zu bezeichnen, ist daher ein kategorischer Fehler: Der Rahmen des Krieges setzt eine Gleichheit der Kombattanten voraus, doch in Gaza sehen wir eine der fortschrittlichsten Armeen der Welt, die eine unbewaffnete und belagerte Bevölkerung angreift.
2. Gazas Verwüstung
Zivile Todesfälle und Verletzungen
Bis September 2025:
- Der offizielle Zähler des Gesundheitsministeriums verzeichnet mehr als 63.600 Todesfälle, wobei die überwältigende Mehrheit Frauen und Kinder sind.
- Durchgesickerte Daten des israelischen Geheimdienstes vom August 2025 zeigten, dass 83 % der Toten Zivilisten waren – sogar nach den eigenen Standards der IDF.
- Experten schätzen, dass die wahre Zahl der Todesopfer 3–15 Mal höher sein könnte als die offizielle Zählung.
- Mindestens eine halbe Million Menschen wurden verletzt, viele mit lebensverändernden Amputationen, insbesondere Kinder.
Wohnen und Vertreibung
Bis Mitte 2025 waren 92 % der Häuser in Gaza beschädigt oder zerstört, wodurch nahezu die gesamte Bevölkerung vertrieben wurde. Familien überleben unter Planen und Zelten zwischen den Trümmern. Städte wie Gaza-Stadt und Chan Yunis wurden zu Ödland reduziert.
Wasser und Sanitärversorgung
- Alle sechs Kläranlagen wurden zerstört. Unbehandeltes Abwasser fließt nun direkt ins Mittelmeer, was eine ökologische und gesundheitliche Katastrophe verursacht.
- 85 % der Entsalzungsanlagen sind entweder zerstört oder ohne Strom und Treibstoff funktionsunfähig. Familien erhalten weniger als 3 Liter unsicheres Wasser pro Person und Tag, weit unter dem humanitären Überlebensminimum.
- Ausbrüche von durch Wasser übertragenen Krankheiten sind weit verbreitet, insbesondere bei Kindern.
Nahrung und Landwirtschaft
- Mehr als 80 % der landwirtschaftlichen Flächen, Obstgärten und Gewächshäuser wurden zerstört.
- In Nord-Gaza herrschen Hungersnotbedingungen. Hilfskonvois wurden wiederholt blockiert oder angegriffen.
- Hunger wird als Waffe eingesetzt. Bilder von Kindern, die in Krankenhäusern und Flüchtlingslagern an Hunger sterben, verfolgen das globale Gewissen.
Gesundheitswesen
- Krankenhäuser wurden systematisch angegriffen. Von den 36 bestehenden Krankenhäusern sind nur noch 10–15 teilweise funktionsfähig.
- Entbindungsstationen zerstört, keine Anästhesie für Operationen, Amputationen ohne Schmerzlinderung und keine Vorräte für Dialyse oder Krebsbehandlung.
- Mehr als 1.000 Ärzte, Krankenschwestern, Sanitäter und Krankenwagenfahrer wurden getötet, was Gaza zum gefährlichsten Ort der Welt für medizinisches Personal macht.
Bildung und zukünftige Generationen
- Schulen, Universitäten und UN-Schutzhäuser wurden bombardiert.
- Gazas Kinder – mehr als die Hälfte der Bevölkerung – haben nicht nur ihre Häuser und Familien verloren, sondern auch Bildung und die Aussicht auf eine Zukunft.
Die kumulative Wirkung ist die Zerstörung der gesamten Existenzfähigkeit einer Gesellschaft.
3. Israels überwältigende militärische Macht
Personal
Israel unterhält eine der größten und am höchsten entwickelten Armeen im Verhältnis zur Bevölkerung:
- 170.000 aktive Soldaten, 465.000 Reservisten und 35.000 paramilitärische Einheiten – insgesamt etwa 670.000 Soldaten, die mobilisiert werden können.
Luftstreitkräfte
- 45 F-35I „Adir“ Stealth-Jets, einige der fortschrittlichsten Flugzeuge, die je gebaut wurden.
- 174 F-16 und 66 F-15, die sowohl präzise Angriffe als auch Luftüberlegenheit ermöglichen.
- Aufklärungsflugzeuge, Luftbetankungstanker und AWACS für erweiterte Missionen.
- Eine große Drohnenflotte (Heron, Hermes, Eitan), die sowohl für Überwachung als auch für Präzisionsangriffe genutzt wird.
Bodentruppen
- Hunderte von Merkava-Hauptkampfpanzern (Mark 3 und 4).
- Tausende von gepanzerten Mannschaftstransportern, einschließlich Namer und Achzarit.
- Präzisionsartillerie, Raketenwerfer und gepanzerte Pionierfahrzeuge für städtische Zerstörung.
Seestreitkräfte und nukleare Abschreckung
- Deutsche Dolphin-Klasse-U-Boote, die vermutlich mit nuklearfähigen Marschflugkörpern ausgerüstet sind und Israel eine Zweitschlagfähigkeit verleihen.
- Eine moderne Marine mit Korvetten, Raketenbooten und Unterstützungsschiffen.
Nukleararsenal
- Israel verfolgt eine Politik der Ambiguität, wird aber weithin als im Besitz von 80–200 Nuklearwaffen angesehen, die mit Flugzeugen, ballistischen Raketen und U-Booten geliefert werden können.
- Dies macht Israel zur einzigen Nuklearmacht im Nahen Osten.
Externer Nachschub
- Die Vereinigten Staaten liefern jährlich Milliarden an militärischer Hilfe, fortlaufende Munitionslieferungen und fortschrittliche Flugzeuge.
- Deutschland liefert U-Boote, Kriegsschiffe, Fahrzeugmotoren und Präzisionsmunition, oft mit Subventionen.
- Im Juni 2025 lieferten 14 Frachtflugzeuge aus den USA und Deutschland frische militärische Ausrüstung.
Gegen dieses unübertroffene Arsenal hat Gaza keine Panzer, keine Jets, keine Marine und keine nukleare Abschreckung. Die Asymmetrie ist absolut.
4. Belagerung als Waffe der Vernichtung
Seit 2007 ist Gaza einer Belagerung ausgesetzt – der längsten in der Geschichte. Seit Oktober 2023 hat sich diese zu einer totalen Blockade verschärft.
- Kein Strom für Krankenhäuser.
- Lebensmittel und Medikamente werden an der Grenze zurückgehalten.
- Treibstoff und Baumaterialien sind verboten.
- Humanitäre Konvois werden behindert oder angegriffen.
Konventionelle Belagerungen zielen darauf ab, eine gegnerische Armee zur Kapitulation zu zwingen. Gazas Belagerung zielt darauf ab, das zivile Leben zu zerstören.
5. Völkermord, kein Krieg
Die Völkermord-Konvention von 1948 definiert Völkermord als Handlungen, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Dazu gehören:
- Tötung von Mitgliedern der Gruppe – Zehntausende Palästinenser, hauptsächlich Frauen und Kinder, wurden getötet.
- Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden – Massenamputationen, Traumata, Hunger, unbehandelte Krankheiten.
- Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf Zerstörung abzielen – Zerstörung von Häusern, landwirtschaftlichen Flächen, Wasser, Gesundheitsversorgung und Unterkünften.
- Auferlegung von Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten – Hunger, Zusammenbruch des Gesundheitswesens und Zerstörung der Entbindungspflege behindern die Fortpflanzung.
- Gewaltsame Übertragung von Kindern – teleologisch führt die Verschickung von Kindern in Massengräber zur Auslöschung der nächsten Generation.
Dies ist keine Spekulation. Die Internationale Vereinigung der Völkermordforscher (IAGS), Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und israelische Menschenrechtsgruppen wie B’Tselem haben Israels Handlungen in Gaza als Völkermord bezeichnet.
6. Warum Sprache wichtig ist
Dies als Krieg zu bezeichnen, ist nicht nur ungenau – es ist mitschuldig. Krieg impliziert zwei Seiten, die nach den Regeln des Kampfes kämpfen. Doch Gaza ist kein Schlachtfeld. Es ist eher wie ein bewaffneter Mann, der ein unbewaffnetes Kind angreift. Niemand würde das einen „Kampf“ nennen.
Daran festzuhalten, Gaza als Krieg zu bezeichnen, bedeutet, Gräueltaten zu beschönigen, Völkermord zu normalisieren und die Opfer zu verraten.
Fazit
Israels Handlungen in Gaza sind kein Krieg. Sie sind eine Reihe von Kriegsverbrechen gegen eine belagerte Zivilbevölkerung, unterstützt von einer der fortschrittlichsten Armeen der Welt und kontinuierlich von ihren Verbündeten versorgt. Die Kampagne erfüllt die rechtliche Definition von Völkermord und übersteigt jedes plausible Verständnis von Krieg.
Dies ist kein Krieg. Es ist Völkermord – ein Vernichtungskrieg.
Quellen
- Internationale Vereinigung der Völkermordforscher, Resolution über Gaza, 2025
- Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, B’Tselem – Erklärungen zum Völkermord
- Gesundheitsministerium Gaza, UN OCHA – offizielle Opferzahlen
- Daten der israelischen Armee zu zivilen Todesfällen
- Lancet-Studie zu Todesfällen in Gaza
- UN OCHA, Humanitäre Lageberichte
- International Rescue Committee, Fakten zur Gaza-Krise
- Global Firepower, Militärische Stärke Israels
- Ausrüstung der israelischen Luftwaffe
- Israels Nukleararsenal
- Middle East Monitor, Waffenlieferungen aus den USA und Deutschland