Völkermord in Gaza – Wer hat es so genannt
„Wenn du in Situationen der Ungerechtigkeit neutral bist, hast du die Seite des Unterdrückers gewählt. Wenn ein Elefant mit seinem Fuß auf dem Schwanz einer Maus steht und du sagst, dass du neutral bist, wird die Maus deine Neutralität nicht zu schätzen wissen.“
— Desmond Tutu
Einleitung
Die Bezeichnung der Handlungen Israels in Gaza als Völkermord ist keine entzündliche Rhetorik; es ist die präzise Anwendung des Völkerrechts auf überwältigende Beweise. Gemäß der Völkermordkonvention von 1948 ist die Anerkennung eines Völkermords nicht optional – sie verpflichtet Staaten bindend zur Prävention und Bestrafung. Gaza heute anzusehen und es dennoch zu verweigern, es Völkermord zu nennen, bedeutet, sich auf die Seite des Unterdrückers zu stellen.
Durchgesickerte Direktiven von Medienhäusern und vorsichtige Formulierungen von Institutionen wie den Vereinten Nationen zeigen eine bewusste Vermeidung des Wortes „Völkermord“. Doch Worte sind wichtig: Völkermord ist ein Verbrechen nach Völkerrecht, keine Metapher. Es zu leugnen, wenn die Schwelle erreicht ist, bedeutet, es zu ermöglichen. Wie Tutu warnte, ist Neutralität angesichts schwerer Ungerechtigkeit Mittäterschaft.
Dieser Essay dokumentiert die Erklärungen, rechtlichen Erkenntnisse und Warnungen – von Staaten, Organisationen, Experten und Gerichten –, die die Verschwörung des Schweigens durchbrochen und Gazas Qualen als das benannt haben, was sie sind.
Explizite Erklärungen zum Völkermord
- Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR, Berlin) — 10. Dezember 2024: Schlussfolgerte, dass Israel in Gaza Völkermord begeht.
- Amnesty International Deutschland — 29. Juli 2025: Erklärte, dass Israels bewusste Hungerpolitik Völkermord darstellt.
- Medico International — 29. Juli 2025: Verurteilte Israels systematische Zerstörung Gazas als Völkermord.
- Türkei — Präsident Erdoğan: Lieferte Dokumente an den IGH, um Israels Völkermord zu beweisen.
- Südafrika — Januar 2024: Brachte einen Völkermordfall gegen Israel vor den IGH.
- Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) — Dezember 2023: Erklärte Israels Krieg als „Massen-Völkermord“ und unterstützte Südafrikas Fall.
- Saudi-Arabien — Kronprinz Mohammed bin Salman, November 2024: Nannte Israels Kampagne „kollektiven Völkermord“.
- Malaysia, Indonesien, Pakistan — Unterstützten explizit den Völkermord-Rahmen bei IGH-Anhörungen.
- Sonderkomitee der Vereinten Nationen zu israelischen Praktiken — November 2024: Fand, dass Israels Handlungen „mit den Merkmalen eines Völkermords übereinstimmen“.
Rechtliche Erkenntnisse
- Internationaler Gerichtshof (IGH), Südafrika gegen Israel (2024) — Fand ein „plausibles Risiko eines Völkermords“ in Gaza; erließ vorläufige Maßnahmen, die Israel anwiesen, völkermörderische Handlungen zu verhindern und humanitäre Hilfe zuzulassen.
- IGH, Bosnien gegen Serbien (2007) — Legte fest, dass Staaten die Pflicht haben, zu handeln, sobald sie von einem ernsthaften Risiko eines Völkermords erfahren, unter Nutzung aller vernünftigerweise verfügbaren Mittel.
- Wissenschaftlicher und Expertenkonsens (2023–2025):
- Raz Segal (Völkermordforscher): Nannte Israels Angriff „einen Lehrbuchfall von Völkermord“.
- William Schabas (ehemaliger Vorsitzender der UN-Gaza-Untersuchung): Bestätigte, dass Elemente eines Völkermords vorliegen.
- Francesca Albanese, Balakrishnan Rajagopal, Chris Sidoti und über 800 Wissenschaftler haben öffentliche Briefe unterzeichnet oder Erklärungen abgegeben, die den Völkermord-Rahmen auf Gaza anwenden.
Vermeidung des Begriffs „Völkermord“ durch Medien und Institutionen
- New York Times: Ein durchgesickertes redaktionelles Memo von 2024 wies Journalisten an, Begriffe wie „Völkermord“, „ethnische Säuberung“ und „Palästina“ zu vermeiden. Bevorzugte eine sterile „Kriegs“-Rahmung; emotionale Begriffe waren israelischen Opfern vorbehalten.
- Westliche Medien: Große Medienhäuser verwendeten selten Begriffe wie „Massaker“ oder „Schlachtung“ für Palästinenser, selbst inmitten massiver ziviler Todesfälle.
- Vereinte Nationen:
- Hohe Beamte (z. B. Tom Fletcher, Martin Griffiths) warnten 2025 vor einem sich entfaltenden Völkermord.
- Dennoch besteht die UN als Institution darauf, dass nur Gerichte formelle Völkermordfeststellungen treffen können – eine rechtliche Haltung, die oft verwendet wird, um politische Neutralität zu rechtfertigen.
- Klarstellung: Es gibt keine rechtliche Barriere, die UN-Agenturen oder Mitgliedsstaaten daran hindert, Völkermord anzuerkennen, wenn seine Merkmale vorliegen. Ein gerichtliches Urteil ist keine Voraussetzung für moralische oder politische Anerkennung.
Diese Vermeidung – sowohl in den Medien als auch in internationalen Institutionen – veranschaulicht die zentrale These des Essays: Neutralität ist Mittäterschaft, Schweigen ist Leugnung.
Pflicht der Staaten zu handeln
Die Völkermordkonvention (1948) und das IGH-Urteil in Bosnien (2007) sind eindeutig: Sobald ein Staat von einem ernsthaften Risiko eines Völkermords erfährt, hat er die rechtliche Pflicht, zu handeln, um ihn zu verhindern. Diese Pflicht ist weder symbolisch noch rhetorisch – sie erfordert konkrete Maßnahmen.
Staaten müssen alle vernünftigerweise verfügbaren Mittel einsetzen, um den Täter zu beeinflussen und den Völkermord zu stoppen. Dies umfasst:
- Einberufung oder Ausweisung von Botschaftern
- Unterbrechung von Waffenlieferungen
- Verhängung wirtschaftlicher und diplomatischer Sanktionen
- Verfolgung internationaler Haftbefehle
- Und, falls erforderlich, die Prüfung einer kollektiven militärischen Intervention gemäß Kapitel VII der UN-Charta
Die Verpflichtung umfasst sowohl Verhalten als auch Ergebnis: Gesten reichen nicht aus. Untätigkeit ist Mittäterschaft.
Wie Mario Savio 1964 erklärte:
„Es kommt eine Zeit, in der der Betrieb der Maschine so abscheulich wird, dich so krank im Herzen macht, dass du nicht teilnehmen kannst. Du kannst nicht einmal passiv teilnehmen. Und du musst deine Körper auf die Zahnräder und auf die Räder legen, auf die Hebel, auf das gesamte Gerät, und du musst es zum Stillstand bringen. Und du musst den Menschen, die es betreiben, den Menschen, die es besitzen, zeigen, dass die Maschine nicht funktionieren wird, solange du nicht frei bist.“
Die Maschinerie des Völkermords mahlt in Gaza weiter. Staaten, die wegsehen oder, schlimmer noch, den Täter bewaffnen, ölen ihre Räder.
Schlussbemerkung
Der Internationale Gerichtshof wagt es, über die Rettung des Planeten mit hochtrabenden Klimaurteilen zu predigen, zögert jedoch angesichts eines aktiven, im Fernsehen übertragenen Völkermords. Gaza ist zu einem Friedhof zerschmetterter Leben zerstört, während diejenigen, die die Macht haben, einzugreifen – die Staaten, die die Völkermordkonvention unterzeichnet haben – durch Politik gelähmt oder durch Unterstützung mitschuldig bleiben.
Dies ist die Schuld derjenigen, die das Massaker bewaffneten, die Wahrheit zum Schweigen brachten und den Täter schützten, während Gaza brannte.
Stell dir vor – dein Volk wird gezwungen, in Zelten unter unerbittlichem Bombardement zu leben, hungernd, ohne Medikamente, und sieht zu, wie deine Kinder einer nach dem anderen sterben, während die mächtigsten Staaten der Welt das Massaker bewaffnen und es wagen, von „Neutralität“ zu sprechen.
Neutralität ist keine Neutralität. Es ist Parteinahme für den Unterdrücker.
Dieses Heuchelei verdient nichts als Verurteilung. Die Geschichte wird nicht nur die Täter dieses Völkermords in Erinnerung behalten – sondern auch die Mittäter.
Referenzen
- Vorläufige Maßnahmen des IGH – Internationaler Gerichtshof, „Anwendung der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords im Gazastreifen (Südafrika gegen Israel), Beschluss vom 26. Januar 2024.“
- Bosnien gegen Serbien – IGH-Urteil, „Fall betreffend die Anwendung der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords (Bosnien und Herzegowina gegen Serbien und Montenegro), Urteil vom 26. Februar 2007.“
- Raz Segal – Jewish Currents, „Ein Lehrbuchfall von Völkermord“, Oktober 2023.
- William Schabas – Verschiedene öffentliche Interviews und Podiumsaussagen (2024–2025).
- Francesca Albanese u.a. – Gemeinsame Briefe von UN-Experten an Mitgliedsstaaten, 2024.
- New York Times-Memo – Durchgesickerte redaktionelle Anweisungen, April 2024 (via The Intercept).
- OIC-Erklärung – „Erklärung des Außerordentlichen Islamischen Gipfels über Gaza“, Dezember 2023.
- ECCHR-Erklärung – ECCHR-Pressemitteilung, Dezember 2024.
- Amnesty International Deutschland – Erklärung zu Hunger als Völkermord, 29. Juli 2025.
- Medico International – Erklärung zur Zerstörung Gazas, 29. Juli 2025.
- Bericht des UN-Sonderkomitees – Jahresbericht, November 2024.
- Erklärungen von Staaten des globalen Südens – IGH-Anhörungen, 2024–2025.