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Gaza: 800 Tage Völkermord

Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Das Gleichnis Seines Lichts ist eine Nische, in der eine Lampe ist; die Lampe ist in einem Glas, das Glas gleichsam ein glänzender Stern, entzündet von einem gesegneten Ölbaum, weder östlich noch westlich, dessen Öl beinahe von selbst leuchten würde, auch wenn kein Feuer es berührte. Licht über Licht.
— Koran, Sure An-Nur 24:35

In der längsten, dunkelsten Nacht, die die Welt seit 1945 erlebt hat, wurden zwei Millionen Seelen in Gaza zu dieser Lampe.

Genau achthundert Tage lang war der Himmel über Gaza voller Feuer. Achthundert Nächte lang bebte die Erde unter zweihunderttausend Tonnen Sprengstoff. Achthundert Morgen lang wiederholten Minister vor laufenden Kameras und ohne Scham, dass kein einziges Weizenkorn, kein Tropfen Medizin, kein Liter Treibstoff zu zwei Millionen Menschen durchgelassen werde.

Und trotzdem erlosch das Licht nicht.

Ein neuer Maßstab für menschliches Leid

In der gesamten Zeit nach 1945 wurde keine Zivilbevölkerung der Erde einer vergleichbaren Kombination aus Dauer, Intensität und vorsätzlicher Entbehrung ausgesetzt wie die 2,3 Millionen Menschen, die zwischen Oktober 2023 und Dezember 2025 im Gazastreifen gefangen waren.

Nach allen Maßstäben der Vereinten Nationen, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und des Internationalen Strafgerichtshofs hat Gaza keine bloße „humanitäre Krise“ erlitten. Es wurde Bedingungen ausgesetzt, die die äußersten Grenzen menschlicher Überlebensfähigkeit überschreiten.

Und dennoch leben gegen jede rationale Erwartung die allermeisten noch. Allein diese Tatsache ist eines der stillsten Wunder unseres Jahrhunderts.

Licht über Licht

Jede Hungersnot-Prognose, jede Public-Health-Simulation, jedes düstere Excel-Sheet des Welternährungsprogramms und des IPC sagte dasselbe: Bei diesem Kaloriendefizit, über diese Dauer, bei einer gesamten Bevölkerung ohne medizinisches System und ohne sauberes Wasser müsste die Sterblichkeit katastrophale, gesellschaftsbeendende Ausmaße erreicht haben. Das ist nicht geschehen. Nicht weil das Leid übertrieben dargestellt wurde – es war schlimmer, als die Modelle es sich vorstellen konnten. Sondern weil die Modelle ein Volk nicht einberechneten, das mit ruhiger, unzerbrechlicher Gewissheit beschloss, dass sein bloßes Dasein der Widerstand sein werde.

Das waren keine heroischen Ausnahmen. Das war die Regel.

Der rechtliche Rahmen: Drei gleichzeitig verletzte Rechtsordnungen

Alle drei unten genannten Rechtsregime wurden über mehr als zwei Jahre hinweg täglich verletzt.

Genfer Konvention IV (1949) – Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten

Völkermordkonvention (1948)

Der Internationale Gerichtshof (Januar & Mai 2024, Juli 2025 vorläufige Maßnahmen; Oktober 2025 Gutachten) stellte ein „plausibles Risiko“ und später ein „ernsthaftes Risiko“ von Völkermord fest. Bis Dezember 2025 beantragte der IStGH-Chefankläger Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant ausdrücklich wegen:

Beweise umfassen Aussagen auf Kabinettsebene („menschliche Tiere“, „kein einziges Weizenkorn“, „Gaza ausradieren“), anhaltende Kalorienzufuhr unter Überlebensniveau sowie die Zerstörung aller Nahrungsmittelproduktionsmittel (Fischerboote, Gewächshäuser, Bäckereien, Ackerland).

Gewohnheitsrechtliches humanitäres Völkerrecht (Regeln 53–56, IKRK-Studie)

Die tatsächlichen Verhältnisse: Chronik einer schleichenden Vernichtung

Sie nannten es „vollständige Belagerung“. Sie nannten es „Druck“. Sie bezeichneten die Menschen als „menschliche Tiere“ und erklärten ohne Umschweife, dass kein einziges Weizenkorn durchgelassen werde.

Phase 1 – Oktober 2023 bis Februar 2024: „Vollständige Belagerung“

Die Ankündigung von Verteidigungsminister Gallant am 9. Oktober wurde wörtlich umgesetzt. Wochenlang fuhr kein einziger Lkw ein. Die Kalorienaufnahme fiel auf 300–600 kcal/Tag. Die ersten dokumentierten Hungertode traten im Dezember 2023 auf.

Phase 2 – März bis Mai 2025: Der „totale Blockade“

Nach dem Scheitern des Januar-Waffenstillstands zwangen Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben-Gvir eine elfwöchige Schließung aller Übergänge durch. UNRWA ging das Mehl komplett aus. Mütter verdünnten Säuglingsnahrung mit verseuchtem Wasser. Das erste Massengrab abgemagerter Kinder wurde im Kamal-Adwan-Krankenhaus entdeckt.

Phase 3 – Juni bis September 2025: Hungersnot ausgerufen

IPC-Phase 5 wurde für das Gouvernement Gaza erklärt (August 2025). Der durchschnittliche Gewichtsverlust erreichte 22 % der Körpermasse. Kinderrippen waren auf jeder Straße sichtbar. Die von Israel erlaubten Luftabwürfe – die einzige „Hilfe“ – töteten mehr Menschen, als sie ernährten.

Phase 4 – Oktober bis Dezember 2025: Der Waffenstillstand, der keiner war

Das Abkommen vom Oktober 2025 versprach 600 Lkw pro Tag. Tatsächlich kamen im Schnitt 120–180. Der Rafah-Übergang blieb meist geschlossen. Treibstoffmangel zwang Krankenhäuser, zu entscheiden, welche Brutkästen weiterlaufen durften. Im Dezember befanden sich weiterhin 100 % der Bevölkerung in IPC-Phase 3 oder höher.

Die Rechnung der Eltern

Die Ernährungswissenschaft ist gnadenlos: Kinder unter fünf Jahren sind am anfälligsten für akute Auszehrung und irreversible Wachstumshemmung. Doch die Eltern in Gaza wissen das. Also tun sie das Einzige, was ihnen bleibt. Sie hören auf zu essen.

Umfrage um Umfrage (Lancet 2025, UNICEF 2025, WHO-Überwachung 2024–2025) zeigt dasselbe Muster: 70–90 % der Erwachsenen lassen Mahlzeiten komplett aus, damit ihre Kinder einen zusätzlichen Bissen Reis oder einen weiteren Schluck bis zur Durchsichtigkeit verdünnter Milchpulver bekommen. Mütter stillen Säuglinge, während ihre eigenen Rippen hervortreten, und vererben Mangelernährung, bevor das Kind je feste Nahrung zu sich genommen hat.

Das Ergebnis ist eine herzzerreißende Umkehrung: Kinder in Gaza haben im Durchschnitt weniger Gewicht verloren als ihre Eltern, weil die Eltern gewählt haben, jeden Tag ein wenig zu sterben, damit ihre Kinder ein wenig länger leben können.

Der medizinische Albtraum, den niemand sich vorstellen sollte

Ärzte in Gaza mussten Tausende Amputationen – viele an Kindern – ohne Narkose, ohne Schmerzmittel, manchmal nur mit Handy-Licht und einem in Regenwasser abgekochten stumpfen Skalpell durchführen.

Jeder Arzt, der seit 2023 in Gaza gearbeitet hat, beschreibt denselben wiederkehrenden Albtraum: den Moment, in dem er erkennt, dass er in ein schreiendes Kind schneiden muss, obwohl er nichts hat, um den Schmerz zu lindern. Viele haben aufgehört zu schlafen; manche haben ganz aufgehört zu sprechen.

Wie leben sie noch? Anatomie eines Wunders

Entgegen allen Vorhersagen der Public-Health-Modelle ist Gaza noch nicht demografisch zusammengebrochen. Mehrere Faktoren erklären dieses unwahrscheinlichen Überlebens:

  1. Außergewöhnliche soziale Solidarität Familien teilten die letzten Krümel, Nachbarn teilten eine Dose Thunfisch unter zwanzig Personen, Fremde trugen Alte auf dem Rücken bei Zwangsmärschen.
  2. Notlösungen Menschen aßen Tierfutter, kochten Gras und Blätter, destillierten Meerwasser mit Holz aus zerstörten Häusern, operierten bei Handylicht.
  3. Sturköpfige Weigerung zu gehen Trotz Evakuierungsbefehlen, die zeitweise 85 % des Streifens betrafen, blieben die meisten – teils weil es keinen sicheren Ort gab, teils weil Verlassen endgültige Vertreibung bedeutete.

Ärzte in Gaza beschreiben die Bevölkerung wiederholt als „lebende Tote“ – am Leben, aber nur knapp.

Epilog: Das Urteil, geschrieben in atmenden Körpern

Dass zwei Millionen Menschen – Lehrer, Dichter, Kleinkinder, die laufen lernen, Großmütter, die alle früheren Kriege überlebten – am 12. Dezember 2025 noch atmen, ist kein Beweis dafür, dass die Politik human war.

Es ist der Beweis, dass manche Formen menschlicher Ausdauer stärker sind als die Maschinerie, die sie auslöschen sollte.

Sie sind noch hier. Sie leben noch. Und jeder Atemzug, den sie tun, ist eine Anklage.

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